Es liest und spielt Bettina Buchholz.
Idee, Bühnenfassung, Videos und Inszenierung: Johannes Neuhauser
Besonderer Dank an Sexdienstleisterin Astrid und Elke Welser von Caritas LENA.
10 (weitgehend) ausverkaufte Vorstellungen
Premiere am 16. November 2024 in der Tribüne Linz
Spielzeit: 2024/2025
Probe Bettina Buchholz, Johannes Neuhauser ©Reinhard Winkler
Bettina Buchholz ©Reinhard Winkler
Bettina Buchholz ©Reinhard Winkler
Bettina Buchholz ©Reinhard Winkler
Sex in Linz“ eine Realsatire über eine verdrängte Realität.
Eines gleich vorweg: Auch wenn die neue Produktion den Titel „Sex in Linz“ trägt, sind voyeuristische Assoziationen und einschlägige Spekulationen fehl am Platz, im Gegenteil: Die Szenische Lesung ist eine ernsthafte, aber auch satirische Auseinandersetzung mit einem allzeit aktuellen Thema, dem Geschäft mit der Sexualität, fokussiert auf die Frau. Festgemacht an den Verhältnissen in Linz ab den 1970er Jahren bis heute. Die Produktion des Kulturvereins Etty hatte gestern Premiere.
Der Psychotherapeut und Autor Johannes Neuhauser ging an die heikle und meist verdrängte Problematik des Sexgeschäfts mit dem Ansatz „Geschichte von unten“ heran. Die Dinge werden nicht von einer höheren Warte aus geschildert, sondern aus der Perspektive der betroffenen Menschen. Im vorliegenden Fall einer vor der Pensionierung stehenden Reinigungsfrau, die jahrzehntelang in Bordellen und anderen einschlägigen Einrichtungen dafür gesorgt hat, dass es dort – gemäß ihrem Firmennamen – „sauber und diskret“ zugeht. Nun lässt sie ihre Erfahrungen Revue passieren und das Publikum daran teilhaben.
Realsatire im besten Sinn des Wortes. Die Dinge sind nicht erfunden, sie waren und sind Linzer Realität. Geschickt verpackt in einen satirischen Rahmen, eben die – aus der DDR zugewanderte – Reinigungsfrau. Manche Ironie blitzt auf, vor allem aber gewinnen die eineinhalb Stunden zunehmend dokumentarischen und damit sozialkritischen Charakter. „Sexarbeiterin“ – ein verachteter, aber immer „gefragter“ Beruf. Allein in Oberösterreich gibt es heute rund 80 genehmigte „Arbeitsstätten“, die Frauen sind offiziell registriert und somit abgesichert.
Das war nicht immer so, wie die Produktion „Sex in Linz“ deutlich macht. Es begann in den 70er-Jahren übrigens genau dort, wo heute die Tribüne logiert: Im Eisenhandkino, dem Ersten Pornofilmtheater im Lande. Es folgte die österreichweite Premiere einer „Peepshow“ in der Linzer Goethestraße und schließlich das Bordell „Ostende“, das sich bald einen einschlägig-legendären Ruf erwarb.
Dieses Etablissement war aber auch der Beginn einer Bewegung, die man vorher nicht für möglich gehalten hätte, die aber für die Frauen enorm wichtig war – der „Sexarbeiterinnen-Gewerkschaft“ unter der ebenso legendären Führung von „Frau Eva“. Heute ist es vor allem die Caritas-Einrichtung „LENA“, die sich um die Sexarbeiterinnen kümmert, von der Beratung bis zur Hilfestellung bei verschiedensten Problemen. Gerade in Zeiten des Internet und der heutigen „Laufhäuser“ gilt es, die Würde und die Rechte der Prostituierten zu wahren.
Zurück zu „Sex in Linz“. Die „Reinigungsfrau“ mit ostdeutschen Wurzeln und eben solchem Dialekt wird perfekt verkörpert von Bettina Buchholz. Sie findet den richtigen Ton zwischen Distanzierung von ihrer Arbeitsstätte – etwa wenn sie mithilfe einer langen Zange die gebrauchten Taschentücher der Kunden entsorgt – und der Empathie für die Sexarbeiterinnen.
Wobei die Sichtweise weit über Linz hinaus reicht, nämlich bis Manila und den Sextourismus dorthin. Sowohl historische Linzer Filme und Videos als auch Filmmaterial gerade von den Philippinen sind kongenial ins Geschehen eingebaut. Alles in allem, ein Theaterabend, der nachdenklich macht, der aber auch das Bewusstsein schärft für eine „dunkle Seite“ der Realität, nicht nur in Linz.
Das Geschäft mit dem Sex in Linz.
Wer sonst als eine in Bordellen und Peepshows werkende Reinigungsfrau könnte die Chronologie und Entwicklung des Geschäfts mit dem Sex in Linz besser erläutern?
Die fragwürdige Erfolgsgeschichte des Rotlichtgeschäfts in der Landeshauptstadt begann unter anderem dort, wo sich der Kulturverein Etty an sein Publikum wendet: in der Tribüne Linz, dem ehemaligen Eisenhand-Kino, wo einst Sexfilmchen im Stile Josefine Mutzenbachers zu sehen waren. Hier erzählt die Bühnenfigur der aus Leipzig stammenden Tina, wie sie es von der kleinen Putzhilfe bis zur Branchengröße als Unternehmerin der Firma „Sauber und Diskret“ geschafft hat. Nun geht sie in Pension, und Schauspielerin Bettina Buchholz öffnet als sächselnde Tina die Chronologie der Szene.
Tina hat genug erlebt. Sie weiß, unter welchen Bedingungen die Frauen in der 1982 eröffneten Peepshow, der ersten Österreichs, gearbeitet haben. Und sie kennt deren Geschichten. So breitet sich in der von Johannes Neuhauser recherchierten szenischen Lesung unter anderem die Geschichte von Frau Eva aus, der ehemaligen Besitzerin des Linzer Bordells „Ostende", auf deren Initiative die Gründung einer "Sexarbeiterinnen-Gewerkschaft“ zurückgeht. Die Schaffung rechtlicher Grundlagen sprach sich bis Manila herum, woher die Ordensschwester Sister Sol auf Besuch kam, die sich in der Hauptstadt der Philippinen um Sexarbeiterinnen kümmerte.
Dem Kulturverein Etty ist ein behutsamer Abend gelungen, der das Rotlicht-Milieu aus der Ecke des verschäumten Schweigens holt und den Sexarbeiterinnen Würde zurückgibt, ohne die barbarischen Seiten der Branche zu verschweigen.